3. April
Die erste Rote Karte in der Bundesliga03.04.1971
Schiedsrichter Hilger zieht im Duell der Eintrachten „Rot“
27. Spieltag Bundesliga – 1970/71: Eintracht Frankfurt – Eintracht 5:2 (3:1)
Am 3.4.1971 musste Eintracht im Bundesliga-Punktspiel beim Namensvetter aus Frankfurt antreten.
Die Blau-Gelben waren mit dem bisherigen Verlauf der Spielzeit 1970/71 überaus zufrieden. Nachdem sie in der Vorsaison den Blick eher in Richtung der Abstiegsplätze lenken mussten und in der Endtabelle schließlich auf dem 16.Platz, dem ersten Nicht-Abstiegsplatz, landeten, bewegten sie sich nun seit geraumer Zeit regelmäßig unter den TOP 5 des Fussball-Oberhauses. Sogar die Meisterschaft war nach den absolvierten 26 Spieltagen noch nicht gänzlich ausgeschlossen. Hinter dem aktuellen Deutschen Meister Borussia Mönchengladbach mit 34:14 (+30 Tore) und Bayern München mit 34:12 Punkten (+27 Tore) belegten sie mit 33:19 Punkten Platz 3, punktgleich mit dem Vierten Schalke 04 (2-Punkte-Wertung!). Gut, an Minuspunkten waren die beiden führenden Teams weit voraus, aber die Nachholspiele (Gladbach zu Hause gegen Bayern und auswärts bei RW Oberhausen; Bayern in Gladbach und zu Haus gegen Bor.Dortmund und die Frankfurter Eintracht) mussten auch erst einmal gewonnen werden.
In einer ganz anderen Situation befand sich die Eintracht aus der Bankenstadt Frankfurt. In der vorangegangenen Spielzeit als Tabellenachter noch eher im Vorderfeld zu Hause, teilten sich die Hessen nun mit Rot-Weiß Oberhausen gemeinsam mit 18:32 Punkten (bei je einem Nachholspiel) das untere Ende der Tabelle. Kickers Offenbach und Arminia Bielefeld lagen mit 19:33 Punkten unmittelbar davor. Der Tabellen-14.war mit 22 Pluspunkten schon fast außer Reichweite. Auch in ihr Nachholspiel konnten die Mannen um Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein keine großen Hoffnungen setzen. Immerhin mussten sie dort bei den Bayern antreten.
Die Rollen an diesem Samstag im Waldstadion waren also klar verteilt. Die „Löwen“ aus der Okerstadt waren der Favorit, die Adler aus der Main-Metropole der Außenseiter. Da die Hessen mit 21 Treffern die wenigsten aller Bundesligisten erzielt und die Blau-Gelben mit 23 Gegentoren die wenigsten zugelassen hatten (nur Bayern hatte bei 3 Spielen Rückstand erst 22), war ein „Zu-Null“-Sieg der „Löwen“ kein gewagter Tip.
Nach nicht einmal 3 Minuten Spielzeit hatten sich diese Prognosen bereits erledigt. 19.000 Zuschauer rieben sich verwundert die Augen. Die Heim-Elf war durch einen Treffer von Hölzenbein in Führung gegangen. Nicht einmal 5 Minuten später ereilte den BTSV weiteres Unheil. Nach einem Zusammenprall mit Frankfurts Heese musste der Spielmacher der Braunschweiger Lothar Ulsass (gegen Polywka) ausgewechselt werden. Eine enorme Schwächung für die Niedersachsen, die danach nie mehr richtig in die Partie fanden. Zwar fiel in der 16. Spielminute sogar noch der Ausgleich durch ein Eigentor von Heese, dieser traf aber kurz nach dem Wiederanpfiff höchstpersönlich zur erneuten Führung der Hessen (17.). 2:1!
Drei Minuten später sorgte Schiedsrichter Hilger für ein Novum im deutschen Fussball. In Minute 20 verwies er den Frankfurter Spieler Friedel Lutz nach einem Schlag gegen Braunschweigs Jaro Deppe vom Platz und zeigte ihm die Rote Karte.
Platzverweise gab es natürlich schon lange auf den Fussballplätzen. Diese wurden bei groben Vergehen gegen die Spielordnung von den Schiedsrichtern dem betroffenen Spieler bislang nur mit einer Geste angezeigt (ausgestreckter Arm). Die Vorgänge im Viertelfinalspiel bei der WM 1966 Argentinien gegen England (nach dem Platzverweis gegen einen Argentinier) gaben jedoch Anlass, die Praxis zu überdenken. Man entschied sich schließlich zur Einführung von Gelben Karten als Zeichen der Verwarnung und für Rote Karten im Falle eines Platzverweises. Erstmalig wurden die Karten bei der WM 1970 eingesetzt. Bei dieser WM wurden dann auch einige wenige Gelbe Karten gezeigt, für eine Rote Karte gab es jedoch keinen Anlass. Erst 1974 sah erstmalig ein Spieler bei einer WM „rot“. Es traf den Chilenen Caszely nach einem Foul an Berti Vogts.
Die Fussball-Bundesliga führte die Gelben und Roten Karten (erst) mit Beginn der Rückrunde 1970/71 ein, damit zum Jahresbeginn 1971. Nicht die in der Hinrunde dieser Spielzeit vom Platz gestellten Lothar Kobluhn (von RW Oberhausen am 11.SpT am Betzenberg), Heese (s.o.; am 12.SpT beim VfB Stuttgart) und Biskup (vom 1.FC Köln am Betzenberg) sahen also als erste Spieler die Rote Karte, wie fälschlicherweise bei „Wikipedia“ zu lesen ist, sondern der Frankfurter Friedel Lutz. Er war der erste Spieler 1971, der vom Platz flog.
Für das laufende Spiel hatte die erste in Deutschland in der Bundesliga gezeigte Rote Karte jedoch keine Auswirkung. Die Frankfurter hauten sich nur noch mehr in die Zweikämpfe, und den „Löwen“ fiel an diesem Tag nichts ein, um die numerische Überlegenheit auszunutzen. Im Gegenteil! In der 30.Minute erhöhte Kalb für die Rot-Schwarzen auf 3:1. Nach der Pause gelang Hölzenbein sogar das 4:1 (62.). Die zwischenzeitlich durch das 4:2 von Erler (73.) bei den mitgereisten Fans des BTSV aufgekommene Hoffnung auf ein versöhnliches Ende zerstörte spätestens erneut Heese mit seinem Treffer zum 5:2 gut fünf Minuten vor Schluss.
Schlusspfiff! Endstand 5:2 für den Gastgeber.
Während die Frankfurter ihren Erfolg gebührend feierten, schlichen die Blau-Grelben niedergeschlagen vom Rasen. Das war es dann endgültig mit dem Traum von der Tabellenspitze!
Die Tabellenführung wäre an diesem Tag für die Braunschweiger Eintracht tatsächlich möglich gewesen, denn die Bayern hatten ihr Auswärtsspiel beim 1.FC Kaiserslautern mit 1:2 verloren. Und die Begegnung von Borussia Mönchengladbach gegen Werder Bremen war beim Stand von 0:0 nach 87 Minuten abgebrochen worden. Warum? Weil der Stürmer der „Fohlen“ Herbert Laumen bei einem Sturz in die Maschen das gesamte Tor zum Einsturz gebracht hatte und es dem Gastgeber innerhalb der vom Schiedsrichter gesetzten Zeit nicht gelungen war, einen Ersatz zu errichten.
Ein weiteres Novum im Deutschen Fussball am selben Tag ! Abbruch durch Tor-Einsturz !
Die Gladbacher hatten sich übrigens nur halbherzig um den Aufbau eines Ersatztores bemüht. Sie waren an diesem Spieltag gegen eigentlich durchschnittliche Werderaner nicht recht zum Zug gekommen und spekulierten auf ein Wiederholungsspiel. Zumindest die Wertung mit 1:1 Punkten schien ihnen sicher. Sie täuschten sich! In der späteren Verhandlung vor dem Sportgericht wurde das zunächst in der Tabelle nicht berücksichtigte Spiel mit 2:0 für Werder gewertet. Den Borussen war ihre Untätigkeit zum Verhängnis geworden.
Fast hätte dieses Urteil Borussia Mönchengladbach sogar die Meisterschaft und damit die Titelverteidigung gekostet. Durch ein 4:1 am letzten Spieltag bei der Eintracht Frankfurt verdrängten die Fohlen Bayern München (0:2 beim MSV Duisburg) jedoch noch von der Tabellenspitze. Die Frankfurter wiederum konnten sich diese Niederlage gerade noch erlauben (28:40-Punkte). Mit RW Oberhausen, Kickers Offenbach (je 27:41) und RW Essen (23:45) ließen sie drei Teams hinter sich und hielten die Klasse. Hätten die „Löwen“ aus Braunschweig an diesem 3.April allerdings die Partie gewonnen, wären die Adlerträger als vorletztes Team (17.) abgestiegen.
Vermutlich wegen dieser Konstellation geriet die Begegnung zwischen den beiden Eintrachten im Rahmen der Aufarbeitung des Bundesliga-Skandals auch in den Verdacht, manipuliert worden zu sein. Beweise hierfür ließen sich jedoch nie finden. Die Spieler von Eintracht Braunschweig wären auch schön blöd gewesen, sich bestechen zu lassen. Immerhin war zu diesem Zeitpunkt die Tabellenspitze noch in Sichtweite. Außerdem galt es, das von Trainer Knefler in der Winterpause gesetzte Ziel zu erreichen, sich für den neu geschaffenen UEFA-Cup zu qualifizieren. Und das hieß mindestens Platz 5!
Der BTSV schaffte diese Qualifikation und schloss die Saison als Tabellenvierter ab.
[Stand: Dezember 2015]